Die Zukunft hat begonnen
Telemedizinische Technik wird in den nächsten Jahren eine tragende Rolle spielen bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten – vor allem in ländlichen Gebieten. Ein „Case Manager“ sorgt für Prävention und Versorgung aus einer Hand.
Deutschland im Jahr 2030: Die elektronischen Rollladen heben sich, mit dem ersten Tageslicht summt der Wecker von Lena Müller. Wie schön, dass sie die schweren Jalousien nicht selbst hochziehen muss. Mit ihrer Arthrose wäre das kaum zu schaffen. Noch bevor sie das Teewasser aufsetzt, erinnert sie ein elektronischer Piep-Ton an ihre Tabletten für den Bluthochdruck. Nach dem Frühstück greift die 85-Jährige zur Fernbedienung. Nicht etwa, um fernzusehen. Auf dem Monitor erscheint das freundliche Gesicht eines jungen Krankenpflegers, das ist ihr „Case Manager“. Sie plaudern zunächst ein wenig übers Wetter und über den Dackel der alten Dame, dann aber will der „Case Manager“ auch wissen, wie es seinem Schützling gesundheitlich geht. Frau Müller legt das Blutdruckmessgerät an, er trägt die Werte ein. Gemeinsam überlegen sie, wann der nächste Arztbesuch ansteht, welche medizinische Maßnahme dringend ist und was warten kann. Lena Müller ist froh, sich mit jemandem besprechen zu können, der nachfragt, ob sie sich auch an die vereinbarten Ernährungs- und Bewegungsziele gehalten hat. Und der auch weiß, mit welchen Diagnose- und Therapieeinrichtungen ihre Krankenkasse überhaupt Verträge hat oder wie bei Bedarf ein ambulanter Pflegedienst zu organisieren ist.
„Case Manager“ statt unkoordinierte Einzelbehandlungen, Prävention und Versorgung aus einer Hand statt freier Arztwahl – sieht so das Gesundheitssystem der Zukunft aus? Der Sachverständigenrat Gesundheitswesen hält eine Entwicklung in diese Richtung jedenfalls für erforderlich. „Demografischer Wandel, Chronizität und Mehrfacherkrankungen machen andere Strukturen notwendig als die derzeitig bestehenden, die vor allem auf Akutversorgung ausgerichtet sind“, schreiben die Experten in ihrem Gutachten von 2009. Deshalb seien Prävention, Zielgruppenorientierung und vor allem eine Überwindung der „sektoralen Trennung“ nötig: Statt jeweils zu ihrem eigenen Vorteil zu wirtschaften, müssten stationäre und ambulante Versorgung, Ärzte und andere Gesundheitsberufe, Kostenträger und Leistungserbringer eng miteinander kooperieren und die Versorgung gemeinsam managen. Nur so könne das System bezahlbar bleiben und sei gleichzeitig am Wohl des Patienten orientiert.
Elektronische Unterstützung wird dabei in Zukunft eine noch größere Rolle spielen. AGnES (AGnES steht für Arztentlastende, Gemeinde-nahe, E-Healthgestützte, Systemische Intervention), ein Modellprojekt in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen wurde bereits 2004 vom Institut für Community Medicine der Universität Greifswald entwickelt. Dabei werden Hausärzten in Regionen, die von hausärztlichen Unterversorgung betroffen sind, durch speziell ausgebildete Krankenpflegerinnen unterstützt. Zu deren Aufgaben gehört die gesundheitliche Überwachung des Patienten, in vielen Fällen unterstützt durch telemedizinische Technik. Zusätzlich werden je nach Bedarf und Notwendigkeit bei älteren Patienten verschiedene Vorsorgemaßnahmen durchgeführt. Dazu zählen unter anderem eine Sturzprophylaxe und Medikamentenkontrolle sowie eine altersbedingte Beurteilung der Fähigkeiten und Defizite (Geriatrisches Assessment).