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Freiheit heute
Bühne frei für
„Im Namen der Freiheit“

Im Gespräch mit Thorleifur Örn Arnarsson und Uwe Gössel zum Auftakt der Theaterversammlungen am 03. Juli im SchauSpielHaus Hamburg.

Unter der künstlerischen Leitung des isländischen Theatermachers Thorleifur Örn Arnarsson und des Dramaturgen Uwe Gössel startet das größte Projekt des diesjährigen Wissenschaftsjahres. Die erste Theaterversammlung findet im SchauSpielHaus Hamburg statt. Das Wissenschaftsjahr hat die beiden Initiatoren getroffen, um mit ihnen über die philosophischen Grundlagen zu sprechen, auf denen die beiden und ihr Team diesen szenischen Mittelpunkt des Projekts „Im Namen der Freiheit“ entworfen haben.

Worum geht es bei den Theaterversammlungen von „Im Namen der Freiheit“?

Uwe Gössel: In unseren Theaterversammlungen werden wir in acht verschieden Städten quer durch die Republik auf der Bühne verhandeln, was Freiheit heute bedeutet. Zum Beispiel am Hamburger SchauSpielHaus, an der Oper in Frankfurt, Halle, Cottbus oder in Düsseldorf. Üblicherweise werden Bühnen als Ort genutzt, an dem Geschichten erzählt werden – es geht um fiktive Konflikte, um Tod, Leben oder die Liebe. Unsere Gegenwart mit ihren Kriegen, Krisen und unbewältigten Konflikten erscheint selbst wie ein Stück von Shakespeare. Für uns ein Anlass, das Thema „Freiheit“ nicht fiktiv zu inszenieren, sondern es konkret entlang unserer Wirklichkeit mit Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft und mit den Mitgliedern der Theater-Ensembles zu reflektieren.

Thorleifur Örn Arnarsson: Im Grunde geht es darum, in Zeiten von Spaltung und Unruhe Fragen von Menschen in einem Raum zu sammeln und mit wissenschaftlichen und künstlerischen Impulsen eine Diskussion anzustiften. Theaterhäuser sind der Ort […], wo Gehirn und Herz zusammenkommen. Wir werden nicht nur Zeugen von Handlung, sondern sind körperlich im Raum anwesend, sehen einander in die Augen. Wir wollen Distanz auflösen. Wir wollen erreichen, dass die Besuchenden mit unterschiedlichen Ansichten in den Dialog treten – wie ein Trainingslager für respektvolles Streiten.

Thorleifur Örn Arnarsson

Der isländische Opern- und Theaterregisseur wurde für seine Arbeit mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Aktuell arbeitet er an der Neuinszenierung von Richard Wagners Tristan und Isolde für die Bayreuther Festspiele. Im Wissenschaftsjahr 2024 – Freiheit veranstaltet und leitet er das Projekt „Im Namen der Freiheit“.

Das Theater ist nicht der typische Ort für Dialog-Veranstaltungen. Warum haben Sie ihn dennoch gewählt?

Uwe Gössel: Neben Rathaus, Kaufhaus oder Kirche sind es häufig Theater, die sich im Zentrum einer Stadt befinden. Unsere Versammlungen zielen auf die Mitte der Gesellschaft […]. Wir haben einen Raum gesucht, wo sich möglichst viele einfinden und mitmachen können. Die Theater waren in der Geschichte häufig zentrale Orte für die Frage, wie es mit der Gesellschaft weitergehen wird. Bereits im 19. Jahrhundert tagte beispielsweise die Volksvertretung Preußens im Gebäude des heutigen Maxim-Gorki-Theaters in Berlin. Auch heute stellen wir die Frage, wie es in Zukunft mit der Freiheit weitergehen kann, reaktivieren also dieses Potenzial des Theaters als demokratischen Ort.

Thorleifur Örn Arnarsson: Das Theater ist eine Art geistige Empathie-Maschine. Es ist ein Ort, an den Menschen kommen, um in die Leben, Geschichten und Themen der anderen hineinzuschauen. Diese werden nicht nur kognitiv verarbeitet, sondern auch emotional aufgenommen – ein Resultat der physischen Nähe. Schon die antiken Griechen haben sich diese Fähigkeit des Theaters zu Nutze gemacht: Tagsüber haben sie im Theater politische Themen besprochen und abends hat dann ein Teil Masken aufgesetzt und die Tagesthemen noch einmal in ganz anderer, besonderer Form reflektiert. Sowohl historisch als auch praktisch ist das Theater deshalb ein Ort, an dem Menschen außerhalb ihrer eigenen Bubble zusammenkommen. […] Und es ist eine Kunstform, die nur durch die Anwesenheit der Zuschauenden existiert. Deshalb bietet das Theater die perfekten Voraussetzungen für einen inhaltlichen und lebendigen Dialog.

Uwe Gössel

Der von Berlin aus interdisziplinär arbeitende Theatermacher hat die künstlerische Leitung der Theaterversammlungen inne. Als Vorstandsmitglied der Dramaturgischen Gesellschaft organisierte er in der Vergangenheit zahlreiche Konferenzen im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Kunst. Nach Stationen am Maxim Gorki Theater oder den Berliner Festspielen experimentiert er aktuell mit verschiedenen Theaterformen von Dokumentartheater oder fiktiven Stoffen.

Wie wollen sie die Menschen anregen, sich einzubringen und mit ihnen zu diskutieren?

Uwe Gössel: Besuchende werden keinen „klassischen“ Theaterabend erleben, an dem ein Theaterstück gezeigt wird. Auf der Bühne werden vielmehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Impulse geben, außerdem zeigt das jeweilige Ensemble des Hauses seine Beiträge. Alle Inhalte werden gemeinsam besprochen. Jeder und Jede kann sich in die anschließenden Diskussionen einbringen. Dafür nutzen wir nicht nur die große Bühne, sondern auch weitere Räume des Theaters.

Thorleifur Örn Arnarsson: Es gibt drei Etappen: Wir starten mit den Impulsen auf der Bühne, dann wird die Diskussion zwischen Bühne und Publikum geöffnet. Über die Methode der Fishbowl treten wir tatsächlich mit dem Publikum ins Gespräch. Der dritte Teil sind dann Tischgespräche in den Foyers.

Inhaltlicher Fokus der Premiere sind die Klimakrise und Freiheit – zwei stark polarisierende Themen. Wie schaffen Sie eine konstruktive und inspirierende Debatte?

Uwe Gössel: Die Klimakrise ist ein Auftrag, darüber nachzudenken, wie wir künftig weitermachen. Das sich verändernde Klima ist der Beweis, dass das moderne Leben mit seinen Verbrennungen ein Auslaufmodell ist. Deshalb gilt es zu diskutieren, was wir gewinnen können, wenn wir das Leben vom Kopf wieder auf die Beine stellen. Neu in unserer Zeit ist, dass wir nicht nur unsere gegenwärtige Freiheit im Blick haben, sondern auch die unserer Kinder und Kindeskinder. Das von Angesicht zu Angesicht zu diskutieren und nicht über die Kommentarspalten im Internet, ist zweifelsfrei eine starke Erfahrung.

Thorleifur Örn Arnarsson: Das Wichtigste in der jetzigen Zeit ist, dass wir lernen, mit Menschen zu diskutieren, die anderer Meinung sind. In der Art wie die Diskussionen aktuell in den sozialen Netzwerken und anderen Orten des Internets ablaufen, werden vor allem Feindbilder geschaffen, statt Gemeinsamkeiten gefunden. Es ist ganz anders, wenn die Menschen uns gegenübersitzen. Dann merken wir: Wir haben ein paar Grundwerte, die wir alle schätzen und aufrechterhalten wollen.

Wir möchten erreichen, dass wir andere Menschen, Blickwinkel und Meinungen respektieren können, obwohl wir nicht einverstanden sind. Damit möchten wir eine Grenze zwischen Meinungsunterschied und Diskriminierung schaffen. Im Netz bricht diese Grenze zu oft weg. Das ist zurzeit eine der größten Gefahren für unsere Demokratie. Wir lassen außer Acht, dass wir als demokratische Gesellschaft ganz viel haben, was wir eigentlich aufrechterhalten wollen. Das Projekt ist wie ein Ort des Übens, auch Empathie für die Position unseres Gegenübers zu entwickeln.

Was geschieht nach den Theaterversammlungen? Wie wird mit dem Besprochenen verfahren?

Uwe Gössel: Das SchauSpielHaus in Hamburg hat eine der größten Bühnen Europas – aber wir wollen, dass auch alle, die nicht vor Ort sein können, die Beiträge hören, lesen oder sehen können. Dafür haben wir mit der Projektwebsite eine Plattform aufgebaut, die alle Beiträge sammeln wird. Wie ein Röntgenbild auf die Gegenwart, wollen wir so die Blicke auf den Wert der Freiheit sammeln.

Thorleifur Örn Arnarsson: Und wir haben die sogenannten Erzählboxen entwickelt, in denen Menschen allein oder zu zweit eine Art Fragebogen zu ihren Vorstellungen von Freiheit ausfüllen können. Die Beiträge werden in einem Archiv gesammelt, dem Freiheitsarchiv. Es wird allen zugänglich sein, auch Forschenden.

Die Theaterpremiere fand am 03. Juli im SchauSpielHaus Hamburg statt. Wie kann der Klimawandel in eine Geschichte über die Möglichkeit des Handelns verwandelt werden? Der isländische Autor und Wissenschaftler Andri Snaer Magnason entwirft ausgehend von alten Mythen eine neue Zukunftserzählung der Hoffnung.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2024 – Freiheit.​

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