Das Projekt „Verspielte Freiheit“ erprobte neue Wege der Wissenschaftskommunikation. Für die Zeit der EURO 2024 triumphierte in Weimar – der Stadt der Dichter und Denker – das Stadion über das Kunstmuseum. Ein Nachbericht vom Projektverantwortlichen Pierre Stephani.
Freiheit heute
Wissenschaftskommunikation zwischen Fußball und Erinnerungskultur
Freier Raum: Das Stadion besiegt das Kunstmuseum
Seit der Fußball sich zur Zeit der Weimarer Republik als Massenphänomen etabliert hat, läuft er den klassischen Bildungseinrichtungen den Rang ab. Ob Theater, Universität, Bibliothek, Gedenkstätte oder Museum – mit dem Spektakel, welches der Fußball in den Stadien anbietet, können diese Einrichtungen schon lange nicht mehr mithalten. Es gilt das vom Bauhaus-Direktor Hannes Meyer ausgerufene Diktum: Das Stadion besiegt das Kunstmuseum.
Dem Gedanken Hannes Meyers konsequent folgend, entstand im Rahmen unseres Förderprojekts „Verspielte Freiheit“ ein 35 x 40 Meter großes Kleinfeld-Stadion in Weimar, das Fritz Löhner-Beda Stadion. Das Stadion – mit Platz für bis zu 700 Personen – nutzten wir für eine Vielzahl von spielerischen Fußball- und Kulturveranstaltungen: Fußballturniere, Public Viewing und Open-Air-Kino, einen Kiosk und einen frei zugänglichen Bolzplatz.
Verspielte Freiheit: Fußball in der Weimarer Republik
In dieser Umgebung haben wir – angelehnt an Friedrich Schillers freien Spieltrieb – Kommunikations- und Vermittlungsstrategien der Wissenschaftskommunikation erprobt: Gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern (u.a. Klassik Stiftung Weimar, Gedenkstätte Buchenwald) und Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, politischer Bildung und Erinnerungskultur (u.a. Hartmut Rosa, Erik Eggers, Rudolf Oswald), organisierten wir ein breites Programm der Wissenschaftskommunikation an der Schnittstelle von Fußball und Erinnerungskultur:
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommentierten EM-Spiele oder traten in Kioskgesprächen mit einem diversen Publikum in den zwanglosen Dialog. Kinder untersuchten Trikots als historische Ausdrucksformen, interpretierten und entwarfen sie neu. Eine Filmreihe über Fußball und Freiheit, eine Fotoausstellung und ein Archiv über den Fußball in der Weimarer Republik sowie Führungen in der Gedenkstätte Buchenwald zum Thema Fußball im KZ informierten die Besuchenden noch tiefgehender.
Thematischer Ausgangspunkt war der Fußball in der Weimarer Republik. Dieser steht exemplarisch für die „Verspielte Freiheit“, wie sie der Historiker Hans Mommsen in seinem gleichnamigen Standardwerk über den Aufstieg und Untergang der Weimarer Republik beschrieben hat: Am Beginn steht der Aufbruch in eine neue Zeit, in der auch der Fußball einen neuen freien Spieltrieb als Lebensgefühl für eine ganze Generation verkörperte. Am Ende folgt der Nationalsozialismus, für den Fußball zu einer Methode und Technik der Massenmobilisierung und Manipulation im faschistischen Deutschland werden sollte. Das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald steht hier für den Inbegriff von Unfreiheit – in dem jedoch selbst noch weiter Fußball gespielt wurde.
Fußball, Freiheit und Erinnerungskultur
Der Fußball als Kommunikationsmedium erweitert die methodischen Möglichkeiten der Wissenschaftskommunikation um emotionale und körperliche Dimensionen. Damit kann er Menschen erreichen, die sich von etablierten Formaten der Wissenschaftskommunikation (Statistiken, Fakten, Vorträgen, Publikationen etc.) distanzieren und sich alternativen Wahrheiten und Medien zuwenden.
Unsere, gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, politischer Bildung und Erinnerungskultur entwickelte Kommunikations- und Vermittlungsstrategie baute auf diesem Potenzial des Fußballs auf. Wir betonten seine radikale Offenheit und soziale Reichweite: Statt auf didaktische oder pädagogische Methodenfeinheit, haben wir auf die Produktion räumlicher Dynamiken gesetzt und insbesondere auf niederschwellige Zugänge und informelle Vermittlung geachtet.
Im Fußballstadion und am Kiosk kamen Menschen verschiedener sozialer, weltanschaulicher und religiöser Hintergründe zusammen. Mit dem gemeinsamen Fußballspielen und den zwanglosen Formaten konnten wir deren Austausch über die „Verspielte Freiheit“ anregen. Trotz gelegentlicher Spannungen und formaler Herausforderungen, die ein solcher Ansatz mit sich bringt, war das Stadion über vier Wochen hinweg ein Ort der Präsenz und Intensität. Hier waren zwanglose Kommunikation und thematische Auseinandersetzungen möglich – aber vor allem wurde Freiheit als schieres Lebensgefühl erlebbar.
Weitere Infos
- Wer von Freiheit spricht, sollte den Fußball nicht vergessen: In Kioskgesprächen kamen wir mit Expertinnen und Experten über Themen an der Schnittstelle von Fußball, Freiheit und Erinnerungskultur ins Gespräch.
- In einer Filmreihe konnten Besuchende die verspielte Freiheit und den Fußball in der Weimarer Republik filmisch erkunden. Wir zeigten Filme, die das Gefühl von Fußball und Freiheit in Gegenwart und Geschichte einfingen.