Teil III: Lebensläufe im Wandel
Nancy P. (Jahrgang 1986): Lebenslauf
„Ich wurde 1986 in einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt geboren. Nach dem Abi entschied ich mich zunächst für ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Behindertenwerkstatt. Anschließend begann ich mein Studium der Europäischen Medienwissenschaft in Potsdam. Ich gehörte zum ersten Bachelor-Jahrgang. Das fünfte Semester verbrachte ich als ERASMUS-Studentin am Trinity College in Dublin. Meinen Master habe ich 2011 an der Universität Freiburg erlangt. Danach habe ich zunächst ein Praktikum bei einer Berliner Tageszeitung und bei einem Radiosender absolviert, bis ich einen Platz im Traineeprogramm der Europäischen Kommission in Brüssel erhielt. Nach einem Volontariat bei einem politischen Verband habe ich zurzeit einen befristeten Vertrag in der Pressestelle einer Universität."
Einschätzung von Prof. Dr. Martin Diewald (Universität Bielefeld):
Nicht zufällig handelt es sich hier zum ersten Mal um eine Frau. Gestützt durch einen beispiellosen Aufstieg im Bildungssystem steigen die Ansprüche der Frauen an eine subjektiv befriedigende und materiell ertragreiche Erwerbstätigkeit. Sie verlassen sich nicht mehr auf das männliche Alleinernährermodell. Allerdings ist es erheblich schwieriger geworden, rasch in eine sichere Berufslaufbahn einzusteigen. Der Lebenslauf listet alles auf, was den unsicheren Start repräsentiert: Praktikum, Volontariat, Trainee, befristete Anstellung. Abgesehen davon haben Ausbildung und erste berufliche Stationen nicht die berufliche Kontinuität wie bei den Männern in den älteren Jahrgängen.
Bemerkenswerterweise ist von Partnern und Kindern an keiner Stelle die Rede. Man kann das so interpretieren, dass private Festlegungen in dieser Lebensphase eher vermieden werden. In der Tat werden im Schnitt - und vor allem bei Personen mit akademischer Ausbildung - Heirat und Elternschaft hinausgeschoben bis in die erste Hälfte der 30er Lebensjahre.
Die Perspektiven sind keineswegs pessimistisch. Es dauert zwar länger als früher, doch die Allermeisten finden eine feste Anstellung. Die Erwartung einer stetigen Karriere oder jährlich sicher erwartbarer Einkommenssteigerungen sollte man jedoch nicht hegen. Bei prosperierender Wirtschaft könnte es angesichts der geburtenschwachen Jahrgänge sogar zu einer Personalknappheit kommen, was die Verhandlungssituation zugunsten der gut ausgebildeten Arbeitskräfte verschieben würde. Unabhängig davon gilt aber auch jetzt: Für Akademiker hat sich seit den 1970er Jahren die Wahrscheinlichkeit einer Arbeitslosigkeit kaum verändert. Die Statusgarantie höherer Ausbildung gilt weiterhin.
Über Prof. Dr. Martin Diewald
Martin Diewald ist Professor für Soziologie an der Universität Bielefeld. Zu seinen Schwerpunkten zählen Sozialstrukturanalysen, Wirtschaftssoziologie und Lebenslaufforschung. Seit 2004 ist er Forschungsprofessor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin.