Begriffsgeschichte

Bild Wald

Nachhaltigkeit ist heute zu einem Modewort geworden, das in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen gebraucht wird: in der Politik, der Wissenschaft, der Werbung. Doch ist der Begriff der Nachhaltigkeit auch klar definiert? Meint beispielsweise „nachhaltige Stadtentwicklung“ dasselbe wie „nachhaltige Fleckentfernung“? Unsere kleine Begriffsgeschichte der Nachhaltigkeit und des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung bringt Licht ins Dunkel.

Die herrschende Begriffsverwirrung in Sachen Nachhaltigkeit geht auf die Doppeldeutigkeit des Worts im Deutschen zurück. Denn „nachhaltig“ kann einerseits einfach als Synonym für „dauerhaft“ oder „nachdrücklich“ verwandt werden – wie bei „nachhaltiger Fleckentfernung“. Oder Nachhaltigkeit wird als politischer Begriff gebraucht, der die Verpflichtung auf ein ökologisches Gleichgewicht, ökonomische Sicherheit und soziale Gerechtigkeit meint – wie bei „nachhaltiger Stadtentwicklung“. Um diese zweite Definition geht es im Wissenschaftsjahr Zukunftsprojekt Erde.

Schwierig wird die Interpretation von Nachhaltigkeit immer dann, wenn die Bedeutungsebenen – unbewusst oder bewusst – vermischt werden. Kritiker meinen daher, der Begriff sei mittlerweile jeglicher Substanz beraubt, da jeder alles darunter verstehen könne – oder eben auch nichts. Tatsächlich kann nur jeder dritte Deutsche einer aktuellen Umfrage zufolge Nachhaltigkeit definieren. 24 Prozent ist deren Bedeutung völlig schleierhaft – besonders in der Altersgruppe der 14- bis 19-Jährigen weiß fast die Hälfte der Befragten überhaupt nichts mit dem Begriff anzufangen. Geht es jedoch um konkrete Themen der Nachhaltigkeit, wie Umweltschutz oder Verantwortung für folgende Generationen, haben wiederum fast alle Menschen klare Vorstellungen davon.

Nachhaltigkeit aus Intuition

Überraschend ist dieser Befund eigentlich nicht. Denn das Grundprinzip der Nachhaltigkeit war lange bekannt, bevor der Begriff geprägt wurde und in den allgemeinen Sprachgebrauch überging: als intuitives Vorsorgedenken und -handeln. „Nachhaltigkeit ist unser ursprünglichstes Weltkulturerbe“, schreibt der Publizist Ulrich Grober in seinem Buch „Die Entdeckung der Nachhaltigkeit“. Er meint damit eine Haltung, im Einklang mit der Natur zu leben und ihre Ressourcen mit Blick auf die Zukunft schonend und intelligent zu gebrauchen. „Gebackenes Brot ist schmackhaft und sättigend für einen Tag; aber Mehl kann man nicht säen, und die Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden“, heißt es in Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ (1795/96).

Goethe spricht zwar nicht explizit von Nachhaltigkeit, meint aber dasselbe wie Hans Carl von Carlowitz, der den Nachhaltigkeitsbegriff „erfand“. Carlowitz war Oberberghauptmann in der sächsischen Silberstadt Freiberg und als solcher für die Zulieferung des Holzes für den Bergbau verantwortlich. Die Wälder waren damals duch unkontrollierten Raubbau übernutzt und die sich verschärfende Holzknappheit war für die Zeitgenossen ein großes Problem. Carlowitz verfasste mit der „Sylvicultura oeconomica“ (1713) ein Standardwerk der Forstwirtschaft, in dem er die „continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung“ des Holzes beschrieb: Es sollte nur so viel Holz geschlagen werden, wie durch  Wiederaufforstung nachwachsen kann.

Von der Waldnutzung zur Erdpolitik

Dieses einfache Prinzip, das die Forstwirtschaft seit 300 Jahren prägt, fand sehr viel später als „Nachhaltigkeit“ zunächst Eingang ins wissenschaftliche, politische und am Ende auch ins allgemeine Vokabular. Der Bericht an den Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums“ (1972) formulierte das Prinzip erstmals in seiner erweiterten Bedeutung. Während Carlowitz bei seinem Traktat lediglich den Holzmangel im Blick hatte, beschworen die Autoren des Berichts an den Club of Rome die umfassenden Gefahren eines ungebremsten Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums mit daraus resultierender Nahrungsmittelkrise, der Erschöpfung der natürlichen Ressourcen und steigender Umweltverschmutzung. Es gelte daher, schreiben sie, ein „Weltsystem“ zu finden, das „1. nachhaltig ist ohne plötzlichen und unkontrollierbaren Kollaps und 2. fähig ist, die materiellen Grundansprüche aller seiner Menschen zu befriedigen.“

Nachhaltigkeit als „Weltsystem“ meint somit einen behutsamen Umgang mit Ressourcen, der allerdings nicht mehr nur Bodenschätze und nachwachsende Rohstoffe umfasst, sondern alle lokalen, regionalen und globalen Ökosysteme und letztendlich – in Zeiten des Klimawandels – die gesamte Erde. Mit den „Grenzen des Wachstums“ war nicht nur die Nachhaltigkeitsforschung geboren, sondern eine neue Epoche der Weltinnenpolitik eingeläutet. Eine „nachhaltige Entwicklung“, die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie zu schaffen, geriet auf die Agenda der Vereinten Nationen.

Nachhaltige Entwicklung als internationale Aufgabe

„Den Bedürfnissen der heutigen Generation zu entsprechen, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen“ – so definierte die UN-Kommission unter Leitung der früheren norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland 1987 den Begriff der „nachhaltigen Entwicklung“ („sustainable development“). Nach dem „Erdgipfel“ in Rio de Janeiro 1992 wurde sie zum Leitprinzip der Staatengemeinschaft, der Weltwirtschaft sowie der nationalen Regierungen und Bürgergesellschaften. Als sogenanntes Drei-Säulen-Konzept bezieht sich nachhaltige Entwicklung seitdem sowohl auf den Erhalt von Umwelt und Ressourcen als auch auf die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Entwicklung. Konkrete UN- Programme wie die Klimarahmenkonvention und die Agenda 21 (beide 1992), das Kyoto- Protokoll (1997) oder die Millenniumsziele (2000) formulierten Anforderungen zur Verwirklichung einer nachhaltigen Entwicklung. In Deutschland wurde im April 2001 der Rat für Nachhaltige Entwicklung von der Bundesregierung berufen. Ihm gehören 15 Personen aus den Bereichen Wirtschaft, Umweltschutz, Landwirtschaft, Sozialpolitik, Wissenschaft und Entwicklungszusammenarbeit sowie Vertreter von Gewerkschaften und Kirchen an. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung hat die Aufgabe Beiträge für die Umsetzung einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln, auf die sich Deutschland 1992 in Rio verpflichtet hat.


Eine solche nationale Nachhaltigkeitsstrategie hat die Bundesregierung erstmals 2002 unter dem Titel „Perspektiven für Deutschland“ beschlossen. Kreative Lösungen und technische Innovationen sollen dazu beitragen, umweltverträgliche und ressourcensparende Produktions- und Konsummuster voranzutreiben. Eine Zukunftsaufgabe für die Nachhaltigkeitsforschung! Aber auch die Gesellschaft insgesamt ist gefragt, Nachhaltigkeit zu ihrer Sache zu machen: „Je mehr Menschen wir für unsere Arbeit begeistern können“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der 11. Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung im Juni 2011, „umso einfacher wird es sein, den Gedanken der Nachhaltigkeit weiter zu verankern.“

 

Weitere Informationen:

Zu den Stimmen der Nachhaltigkeit aus Wissenschaft und Forschung

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