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Freiheit morgen
Freiheit neu denken –
wie wir mit Klimaschutz unsere Freiheit schützen

Ein Gastartikel von Claudia Kemfert.

Es war eine Sensation in der deutschen Rechtsgeschichte: Das Bundesverfassungsgericht sah die junge Generation durch den unzureichenden Klimaschutz der Regierung in ihren Freiheitsrechten verletzt.
Das Urteil vom 24. März 2021 war ein herber Schlag für die damalige Kanzlerin; schließlich hatte sich Angela Merkel zu Beginn ihrer Regierungszeit als „Klimakanzlerin“ auf den Weg gemacht.

In ihrer Amtszeit wurde im „Paris-Abkommen“ von 2016 erstmals weltweit politisch vereinbart, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Doch zum Abschluss ihrer Regierungszeit schrieb Deutschlands höchstes Gericht Angela Merkel ausgerechnet in diesem Punkt ein „ungenügend“ ins Zeugnis.

Der Gesetzgeber sei verpflichtet, die Reduktion der Treibhausgasemissionen auch über 2030 hinaus näher zu regeln. Schließlich seien nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit dem Ausstoß von Treibhausgasen verbunden – und somit praktisch alle Freiheiten der Menschen durch künftige Einschränkungen aufgrund von Emissionsminderungspflichten in Gefahr. Der Gesetzgeber müsse daher zur Wahrung der grundrechtlich gesicherten Freiheit Vorkehrungen treffen, um diese hohen Lasten abzumildern.

Wer hat Recht beim Recht auf Freiheit?

Das Urteil war und ist so bemerkenswert, weil üblicherweise die das Recht auf „Freiheit“ geltend machen, die jegliche Klimaschutzmaßnahmen ablehnen. Schon ein „Tempolimit“ – im Vergleich etwa zu möglichen Verbrenner-Verboten eine harmlose Einschränkung ressourcenintensiver Verhaltensweisen – bringt in Deutschland die Gemüter in Wallung. Ähnliches bei jeglicher Verkehrsmaßnahme, die dem Fuß- und Radverkehr mehr Raum geben will. „Freie Fahrt für freie Bürger“ lautete eine ADAC-Kampagne der 70er Jahre, die bezeichnenderweise drei Monate nach dem Höhepunkt der Ölkrise mit den vier „autofreien Sonntagen“ in Deutschland startete. Schon damals schien die fossile Industrie- und Finanzwelt Angst um ihr Geschäftsmodell zu haben. Und obgleich vor allem autokratische Staaten von den fossilen Geschäften profitieren, wurde in den Debatten immer die Fahne der Freiheit gehisst.

Heute gilt es, die Auswirkungen von Verhaltensweisen Einzelner auch auf Angehörige anderer Staaten zu berücksichtigen – und auf künftige Generationen.

Prof. Dr. Claudia Kemfert
Leiterin der Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)

Schadensbegrenzung statt Freiheitsbegrenzung

Bis heute wird jegliche staatliche Vorgabe im Hinblick auf emissionsarme, also möglichst fossilfreie Lebens- und Wirtschaftsformen als unzulässige Freiheitseinschränkung verunglimpft. Doch stimmt das so?

Selbst im politischen Liberalismus, der das moderne Verständnis von Wirtschaft und Gesellschaft prägt, gilt das sogenannte Schadensprinzip. Demnach strebt die liberale Gesellschaft ein gemeinschaftliches Zusammenleben an, in dem die Einzelnen vor staatlicher Einmischung geschützt werden, solange sie nicht die Rechte oder das Wohlergehen anderer beeinträchtigen. Dieses Verständnis von Freiheit hat Eingang in westliche Verfassungen gefunden. Es erlaubt dem Staat, Verhaltensweisen einzuschränken, die Krisen verschärfen und anderen Menschen Schaden zufügen.

Angesichts der wachsenden ökologischen Herausforderungen geht die Verantwortung des Staates zunehmend über das Hier und Jetzt hinaus. Heute gilt es, die Auswirkungen von Verhaltensweisen Einzelner auch auf Angehörige anderer Staaten zu berücksichtigen – und auf künftige Generationen. Bei heutigen (staats- und privat-)rechtlichen Abwägungen zwischen verschiedenen Freiheitsansprüchen und -rechten spielen internationale Vereinbarungen wie das Pariser Klimaabkommen von 2016 daher eine relevante Rolle. Ganz sicher erfordert die Bewältigung ökologischer Krisen eine stärkere Rolle des Staates als bisher.

Freiheit neu denken

Neuerdings zieht in die Debatte sogar die Frage von Freiheitsrechten der Fauna und Flora ein: Noch sind Haus-, Nutz- oder Wildtiere vor dem Gesetz keine juristischen Personen und damit in ihren Rechten stark beschränkt. Doch wenn wir begännen nicht nur Tiere, sondern die gesamte Natur als ein Rechtssubjekt zu begreifen, das seine ökologischen Interessen selbst wahrnimmt und durchsetzt, so meint etwa der Rechtswissenschaftler Jens Kersten, dann wäre das „nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine soziale, ökonomische und ökologische Revolution“. Und die Philosophin Eva von Redecker erkennt gänzlich neue Ebenen der Freiheit: An die Stelle der Freiheit zu reisen und sich uneingeschränkt zu bewegen, tritt die „Bleibefreiheit“, also die Freiheit, an einem Ort zu leben, an dem wir bleiben können und nicht etwa wegen Klimakatastrophen fliehen müssen.

Solche Freiheitsformen anzuerkennen oder auch nur denken zu können, ist schwierig und erfordert eine breite gesellschaftliche Diskussion. Doch der Entscheid des Bundesverfassungsgerichts von 2021 hat gezeigt, dass unser Grundgesetz dafür eine gute Basis darstellt. Insofern bedarf es bloß einer konsequenten Weiterentwicklung des freiheitlich-liberalen Gesellschaftsverständnisses, um die ökologischen Krisen einzudämmen und die Freiheit aller zu schützen.

Prof. Dr. Claudia Kemfert

Prof. Dr. Claudia Kemfert

Prof. Dr. Claudia Kemfert ist Professorin für Energiewirtschaft und -politik an der Leuphana Universität Lüneburg sowie Leiterin der Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).

Prof. Dr. Claudia Kemfert

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2024 – Freiheit.​