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Freiheit heute
Wie frei ist Deutschland?
Vom Rassismus in Alltag
und Wissenschaft

Der Nationale Diskriminierungs- & Rassismusmonitor im Überblick.

Auf dem Papier genießt die deutsche Bevölkerung viele Freiheitsrechte. Deutschland sei eines der freiesten Länder überhaupt, so der aktuelle Bericht der Menschenrechtsorganisation Freedom House. Ein Blick in die Praxis aber zeigt, dass das nicht für alle Bewohnerinnen und Bewohner Deutschlands gleichermaßen gilt.

Rassismen schränken Freiheiten ein

Die Freiheit marginalisierter („unterdrückter“) Gruppen fällt Vergleich zur Mehrheitsgesellschaft praktisch geringer aus. Das ist auch in Deutschland so. „Mehrheitsgesellschaft“ meint den Teil der Bevölkerung, der als weiß wahrgenommen wird.

Das beginnt schon im Kindes- und Jugendalter: Soziale Ungleichheit, mangelnde Ressourcen oder (bewusste und unbewusste) diskriminierende Haltungen gegenüber Schülerinnen und Schüler mit Migrationsgeschichte verringern ihre Bildungschancen („Ethnische Bildungsungleichheiten“). Das hat Auswirkungen auf ihre Freiheiten, sich zu entfalten und sich einen Wohnort oder Beruf auszusuchen.

Die Sicherheit vieler Menschen ist in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen: Zunehmende antisemitisch motivierte Straftaten veranlassen Jüdinnen und Juden dazu, öffentlich nicht mehr als Mitglieder ihrer Religionsgemeinschaft aufzutreten (Tagesschau, 25.01.2024). Auch die Zahl der Angriffe auf Menschen mit Fluchtgeschichte ist 2023 angestiegen (ZDFheute, 21.02.2024).

Wie steht es um Rassismus in Deutschland?

In der 2022 veröffentlichten Auftaktstudie des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa) unter dem Titel „Rassistische Realitäten“ wurden über 5000 Menschen zu Rassismus befragt. Mehr als ein Fünftel der Teilnehmenden gibt an, schon einmal rassistisch behandelt worden zu sein. Knapp die Hälfte hat von rassistischen Vorfällen in ihrem Umfeld gehört oder sie selbst beobachtet.

Infobox 1: Was ist Rassismus?

  • Der NaDiRa versteht Rassismus als Weltanschauung und als soziale Umgangsform mit vier zentralen Merkmalen:

    1. Kategorisierung: Menschen werden anhand äußerlicher Merkmale in Gruppen eingeteilt.
    2. Generalisierung und Rassifizierung: Den Gruppen werden unveränderliche biologische Eigenschaften zugeschrieben.
    3. Hierarchisierung: Die Gruppen werden anhand ihrer Eigenschaften bewertet und in eine Rangfolge gebracht.
    4. Legitimierung: Anhand dieser Gruppenbewertungen werden bereits bestehende Ungleichheiten in der Gesellschaft begründet und reproduziert.

Bewusstsein für Rassismus

Das Bewusstsein dafür ist groß: 90 Prozent erkennen an, dass es Rassismus in Deutschland gibt. Dabei wird er nicht nur als individuelles, sondern als ein strukturelles Problem verstanden: Etwa die Hälfte findet, dass wir in einer rassistischen Gesellschaft leben.

Infobox 2: Alltagsrassismus und Struktureller Rassismus

  • Alltagsrassismus bezieht sich vor allem auf das Sichtbare, Zwischenmenschliche, z.B. Herabwürdigung oder körperliche und verbale Angriffe aufgrund der Hautfarbe.

    Struktureller Rassismus ist schwieriger zu erkennen. Er bezieht sich auf den historischen, anhaltenden gesellschaftlichen Prozess. Demnach finden sich rassistische Handlungen und Haltungen überall in Institutionen, Abläufen und sozialen Normen. Sie werden dadurch von Einzelnen eher als „normal“ anstatt als „rassistisch“ wahrgenommen.

Gleichzeitig zeigt die Studie, dass knapp die Hälfte der Teilnehmenden an die Existenz menschlicher Rassen glaubt. Über ein Viertel gibt dazu an, dass Kulturen unterschiedlich viel wert seien.

Auch die Bewertung von Antirassismus wird untersucht: Fast die Hälfte der Teilnehmenden gibt an, Antirassismus sei eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Diese „Abwehr von Rassismuskritik“, so die Autorinnen und Autoren der Studie, komme vor allem aus der Mitte der Gesellschaft.

Porträt von Prof. Dr. Naika Foroutan.

Rassismus ist Alltag in Deutschland. Er betrifft nicht nur Minderheiten, sondern die gesamte Gesellschaft, direkt oder indirekt.

Prof. Dr. Naika Foroutan 

Direktorin des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM)

Auch Wissenschaft ist nicht frei von Rassismus

Die ungleichen Machtverhältnisse und ihre Auswirkungen, die durch Rassismus entstehen, werden an einer weiteren NaDiRa-Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung zur Arbeit im wissenschaftlichen Bereich deutlich.

Die Interviews zeigen, dass die Karrieren von BIPoC-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vom sozialen Umfeld abhängen. Unterstützende Kontakte, Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzte helfen beim Aufbau einer Karriere. Fehlende Netzwerke oder unaufgeschlossene Vorgesetzte können Karrieren verhindern. Die eigene Leistung rückt dabei in den Hintergrund.

 

Infobox 3: BIPoC

  • BIPoC ist eine Abkürzung aus dem Englischen und bedeutet „Black Indigenous People of Colour“. Mit dem Begriff sollen Schwarze und indigene Identitäten sichtbar gemacht und ein Bewusstsein für ihre Rassismuserfahrungen geschaffen werden. Mehr dazu: Glossar der Universität zu Köln.

Auch berichten die Befragten, dass ihre Objektivität im Bereich der Integrations-, Migrations- und Rassismusforschung infrage gestellt werde. Häufig werden sie als „Betroffene“ parteiisch eingeschätzt. Damit werden ihre Arbeit und ihre Ergebnisse gegenüber der Arbeit von weißen Forschenden abgewertet.

Über Rassismus in den Dialog treten

Fazit der Studien ist, dass Rassismus in Deutschland weit verbreitet ist – aber auch weithin bekannt. Um vom Bewusstsein über die Zustände zum Handeln zu gelangen, scheint vor allem der Dialog darüber entscheidend: die Bereitschaft, sich gegen Rassismus zu engagieren, steige, sobald den Teilnehmenden von rassistischen Vorfällen berichtet wird.

Nationaler Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa)

Seit 2020 untersucht der Nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa) des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) Ursachen, Ausmaß und Folgen von Rassismus in Deutschland. Ziel ist es, Rassismus in Deutschland abzubilden und wissenschaftlich gestützte Gegenmaßnahmen zu entwickeln und umzusetzen.

Das DeZIM koordiniert außerdem das Wissensnetzwerk Rassismusforschung (WinRa), das die Forschung zum Thema bundesweit stärkt und vernetzt. WinRa wird seit dem 1. Januar 2023 für eine Laufzeit von zunächst fünf Jahren vom Bundesministerium für Forschung und Wissenschaft gefördert.