Künstliche Intelligenz und Massengesellschaft

Ein Expertenbeitrag von Christoph von der Malsburg, Frankfurt Institut for Advanced Studies Technik und Automation sind Mittel, unsere Wünsche zu erfüllen, z. B. unsere Häuser und unsere Städte unserem Lebensstil anzupassen. Wir wollen leben wie die Fürsten, deren Kammerdiener, Butler, Privatsekretäre, Stalldiener und Kutscher es ihnen ermöglichten, sich ganz auf das zu beschränken, wofür sie da waren, was sie als Aufgabe oder Sinn ihres Lebens ansahen: Automation dient dazu, unser Leben unseren Wünschen und Zielen anzupassen.

Künstliche Intelligenz (KI) ist die Speerspitze der Automation. Bisher allerdings ist KI nur menschliche Intelligenz in Konservendosen. Entweder beruht sie auf Computerprogrammen, die von Menschen geschrieben sind und alle möglichen Situationen mit vorausgeplanten Aktionen abdecken. Oder KI beruht neuerdings auf dem sog. „deep learning“, dessen Prinzip darin besteht, Millionen von einzelnen Datensätzen statistisch auszuwerten, um das nachmachen zu können, was Menschen vorgemacht haben.

Der deutsche Physiker, Neurobiologe und Hochschullehrer Christoph von der Malsburg zählt zu den profiliertesten deutschen Forschern im Bereich KI. In seiner Karriere war er unter anderem am Max-Plack-Institut Göttingen, der University of Southern California und der Ruhr-Universität Bochum tätig. Er ist ein Pionier der technischen Gesichtserkennung und ein Kritiker der Theorie der neuronalen Netze. Der vielfach ausgezeichnete Forscher arbeitet heute am Frankfurt Institut for Advanced Studies.

KI nach beiderlei Methode ist teuer und lohnt sich nur auf gigantischen Märkten. Daher ist sie heute in der Hand von Firmen, die den Markt beherrschen. Der von KI ermöglichte Lebensstil ist entsprechend an diese großen Märkte angepasst. Wenn man es genau nimmt, an den amerikanischen Markt, denn dieser Markt ist homogen und Amerikaner lieben Standardisierung.

Ich sehe diese auf die Masse ausgerichtete Standardisierung unseres Lebensstils als Problem. Die moderne Gesellschaft „befreit“ den Einzelnen dazu, so zu werden, wie Hunderte Millionen Anderer. Wir wollen Individuen sein, und um als solche wahrgenommen zu werden, schließen wir uns Moden an, d. h., wir gestalten unser Leben nicht wirklich individuell.

Der einzelne Mensch ist – im Unterschied zur gegenwärtigen KI – nicht auf detailliert vorgeplante Handlungsmuster beschränkt, sondern kann mit Situationen fertig werden, die im Detail völlig neu sind, nur geleitet durch sehr allgemeine Ziele, wie beispielsweise natürlich den Hunger zu stillen, den Gefahren zu entgehen, die Fortpflanzung etc., dann aber auch, Andere zu beeindrucken, mathematische Probleme zu lösen und überhaupt ein kulturell reiches Leben zu führen, mit all seinen verästelten Nebenzielen. Die echte Intelligenz hingegen ist: die Fähigkeit, geleitet nur durch allgemeine Ziele durch's Leben zu gehen, eine Fähigkeit, die der Technik bisher noch total verschlossen ist.

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Nehmen wir an, der Technik gelingt es tatsächlich, das Geheimnis der menschlichen Intelligenz zu entschlüsseln und uns autonome Organismen als Diener zu geben. Die Autoindustrie verspricht uns das ja, mit selbstfahrenden Autos. Diese Organismen sollen aber natürlich trotz ihrer Autonomie weiter lediglich dienen, indem sie die von uns vorgegebenen Ziele im Detail umsetzen. Gehen wir hier mal optimistisch davon aus, dass es uns gelingt, die Technik in diesem Stadium zu halten, nämlich uns zu dienen.

Wie würden gelehrige, autonome Organismen die Situation verändern? Welche Möglichkeiten werden sich eröffnen, wenn jeder technische Laie ein System dazu anleiten kann, Aktivitäten kreativ und flexibel zu gestalten, ganz so, wie wir Kinder oder persönliche Assistenten anleiten. Natürlich müssen wir uns dabei vorstellen, dass künstliche autonome Systeme ganz andere Möglichkeiten haben werden, als menschliche Assistenten oder menschliche Teams, mit ganz anderen Werkzeugen oder Kommunikationsmöglichkeiten. Ich denke, es wird sich dann ein fruchtbares Feld bieten, neue Formen der Wechselwirkung und Zusammenarbeit vieler Menschen zu gestalten. Vielleicht könnten wir damit dem gegenwärtigen Druck zur Standardisierung und Vermassung entgegenwirken und unser Leben unendlich viel reicher gestalten, vor allem auch im Rahmen überschaubarer sozialer Zusammenhänge, denn wir leben mit und durch Andere.


Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2018 – Arbeitswelten der Zukunft.